Weite Schüsse 3

Weite Schüsse - drei

1 2 3 4 5 6 Außenballistik

Langstreckentaugliche Geschosse müssen lang sein, um mittels große Flächenlast (Masse je Geschoßquerschnittsfläche) der Verzögerung durch den Luftwiderstand genügend Wucht entgegenzusetzen, um möglichst wenig gebremst zu werden, damit die Reise kurz bleibt und das Geschoß nicht so tief fällt. Zerstörerische Drallkräfte begrenzen die Geschosse zu sehr zu strecken. Je nach Geschwindigkeit tragen Bug, Schaft und Heck unterschiedlich zum Luftwiderstandverlauf bei. Wie sich Luftwiderstandbeiwert über die Machzahl ändert, muß bekannt sein, um die sich verändernde Verzögerung durch den Luftwiderstand zu berechnen, um endlich die Bahnkurve und damit die Höhung zur richtigen Visierung für den Fleckschuß auf beliebige Entfernungen zu berechnen. Hier erörtern wir, wie diese Einflüsse zu berücksichtige sind, um die bestmögliche Geschoßgestalt zu finden.

Luftwiderstandverlauf

Die Flugbahn zu berechnen wird uns nur gelingen, wenn wir wissen, wieviel sich die einzelnen Luftwiderstandsanteile über die geflogene Strecke ändern. Die unendliche ebene Platte im Luftstrom wird mit F Kraft [N], rLuft Dichte [kg/m³], A Fläche [m²], gebremst

F = ½ · rLuft · · A (6)

Statt den Luftwiderstand, eine Kraft die mit dem Quadrat der Geschwindigkeit zunimmt, selbst zu betrachten, setzt man die tatsächliche Luftwiderstandsbremskraft zu der einer eben Platte ins Verhältnis und nennt dies dimensionslose Eigenschaft Luftwiderstandbeiwert, oder Cw .

Weite Schüsse 3, Bild 1, Luftwiderstandgesetze

Obige Luftwiderstandgesetzdarstellung in Bild 1, die mit freundlicher Genehmigung der Rheinmetall AG aus deren Waffentechnischen Handbuch entnommen wurde, zeigt je nach Gestalt drastische Unterschiede im Luftwiderstandsverlauf. Hier treten die Geheimnisse zum Glücke der Langstreckenschützen offen zutage. Die dimensionslose Einheit Cw teilt die Staukraft der Gestalt durch die einer ebenen Platte. Der Staudruck nimmt mit dem Quadrat der Geschwindigkeit zu. Je kleiner der Cw-Wert einer Gestalt ist, desto windschlüpfriger ist jene. Wir sehen, bei Flachkopfgeschoß Nr. 1 nimmt der verhältnismäßige Luftwiderstandsbeiwert Cw mit zunehmender Geschwindigkeit immer weiter zu. Das war eigentlich zu erwarten.

Schon die Kugel, Kurve 2 und 3, überascht. Der verhältnismäßige Widerstand nimmt oberhalb Mach 2 wieder ab. Das Krupp’sche Normalgeschoß war, soweit mir bekannt, ein verhältnismäßig stumpfes Ogivalgeschoß mit 2 Kalibern Ogivenradius. Eigentlich müßte man sich nach heutigen Erkenntnissen nicht mehr mit einem derartig veraltetem Geschoß beschäftigen, wenn nicht damals Ende des 19ten Jahrhunderts bei Krupp ein russischer Oberst Mayewski, der wie viele Russen ein hervorragender Mathematiker war, für die gemessene Luftwiderstandbeiwerte ein mathematisches Modell in Tabellenform entwickelt hätte. Ein Amerikaner namens Ingalls übertrug Mayewski’s Tabellen vom metrischen in das schreckliche angelsächsische Maßsystem und bewarb die einfache Übertragbarkeitsregel zwischen ähnlichen Geschossen mittels des ballistischen Koeffizienten, dort. B.C. genannt.

Luftwiderstandsanteile

Weite Schüsse 3, Bild 2, Luftwiderstandsrechnungen Um etwas klarer zu sehen, welchen Einflüsse unser 5 Kal. langes Langstreckengeschoß mit 2,5 Kal. langer Tangentialogive, 1,5 Kal. Schaft und 1 Kal. 14° Heck zu 0,754 Kal. Durchmesser ausgesetzte ist, sehen wir uns die folgende Grafik an. Hier sind die Cw-Anteile über die Machzahl, also die Schnelle als Vielfache der Schallgeschwindigkeit aufgetragen. Besonders fällt zunächst der krasse Sprung bei Mach 1, die ,,Schallmauer“ auf. Oben ist der Gesamtluftwiderstandbeiwert Cw. Darunter als größte Posten der Nasen-Cw CwN und der Boden-Cw CwBod, dann der Oberflächen-Cw CwOF und zuletzt der Heck-Cw.

Unterhalb der ,,Schallmauer“ gibt es kein Stoßwellen. Der Wellenwiderstand der Nase ist dementsprechend nicht vorhanden, = 0. Auch am 14° Heck liegt die Strömung noch voll an. Der Hecksog ist dann zu vernachlässigen. Bei fünf Kalibern Gesamtlänge wäre nur zu überlegen, ob man jeweils den Bug für den Überschallbereich, oder das Heck für den Unterschallbereich, verlängerte. Das Langstreckengeschoß wird am Ende seiner Reise langsam genug, um dem Heck genügend Bedeutung zukommen zu lassen. Die obigen Maße stellen also für eine Reise von über Mach 3 bis knapp über Mach 1 einen gelungenen Ausgleich dar. Um auch die Sekantogive mit gleichlangem Bug (2,5 Kal.) aber doppeltem Bugradius zu 13 Kal. statt 6,5 Kal bei der Tangentialogive zu zeigen, die im Langstreckengeschoß ebenfall im Riß dargestellt wurde, folgen die Werte, auch in % auf einander bezogen, als Tafel: Die Sekantogivenwerte sind kursiv dargestellt.

Mach

Cw

CWN

Cw

CwN

CwOF

CwHeck

CwBod.

sekant

Ogive

tangent.

Ogive

0,5

0.102

0.000

0.103

0.000

0.061

0.000

0.043

0.0 %

0.0 %

58.6 %

0.0 %

41.4 %

0,7

0.103

0.000

0.104

0.000

0.055

0.000

0.049

0.0 %

0.0 %

52.8 %

0.0 %

47.2 %

0,9

0.118

0.008

0.119

0.008

0.051

0.004

0.056

6.9 %

6.8 %

42.6 %

0.0 %

47.2 %

1,1

0.343

0.157

0.373

0.185

0.048

0.056

0.084

45.7 %

49.7 %

12.8 %

0.2 %

22.5 %

1,3

0.336

0.131

0.361

0.159

0.045

0.075

0.082

38.9 %

44.2 %

12.4 %

0.2 %

22.7 %

1,5

0.312

0.119

0.338

0.148

0.042

0.068

0.080

38.2 %

43.8 %

12.5 %

0.2 %

23.6 %

1,7

0.291

0.112

0.317

0.140

0.040

0.060

0.076

38.4 %

44.2 %

12.6 %

0.2 %

24.1 %

1,9

0.273

0.106

0.300

0.135

0.038

0.054

0.073

38.9 %

45.0 %

12.7 %

0.2 %

24.3 %

2,1

0.257

0.102

0.284

0.130

0.036

0.049

0.069

39.6 %

45.9 %

12.8 %

0.2 %

24.1 %

2,3

0.243

0.098

0.270

0.127

0.035

0.045

0.064

40.5 %

46.9 %

12.8 %

0.2 %

23.8 %

2,5

0.230

0.095

0.257

0.123

0.033

0.041

0.060

41.4 %

48.0 %

12.9 %

0.2 %

23.3 %

2,7

0.218

0.093

0.245

0.121

0.032

0.037

0.056

42.5 %

49.1 %

12.9 %

0.2 %

22.7 %

2,9

0.207

0.090

0.235

0.118

0.030

0.035

0.052

43.5 %

50.3 %

13.0 %

0.1 %

22.0 %

3,1

0.198

0.088

0.225

0.116

0.029

0.032

0.048

44.6 %

51.5 %

13.0 %

0.1 %

21.2 %

3,3

0.189

0.086

0.216

0.114

0.028

0.030

0.044

45.8 %

52.7 %

13.1 %

0.1 %

20.5

Weite Schüsse 3, Luftwiderstandtafel für tangentiale und sekante Ogive

Die Sekantogive bietet bei allen betrachteten Machzahlen weniger Luftwiderstand als die tangentiale Ogive, ist daher vorzuzeihen. Leider kenne ich nur einen Hersteller der wettbewerbstaugliche Geschosse als Sekantogive herstellt, nämlich Hornady. Die Geschosse wiederum sind dünnmantelig, lassen sich also bei großem Drallwinkel > 5,5° nicht allzu schnell verschießen. Patronen mit mäßiger Ladung, wie 6,5x55 Schwedenmauser oder 7,62x51 NATO bleiben sicher unter den aushaltbaren Belastungsgrenzen. Von einer 6,5-284 Norma oder 6,5x65 RWS mit leichten Geschossen kann das schon nicht mehr angenommen werden. Magnumpatronen wie die .264Win. oder die 6,5x68 überfordern dünnmantelige Geschosse, außer dem 9g Lapua Scenar. Das ist kräftig genug. Die Geschoßhersteller sind also noch nicht am Ende der Möglichkeiten angelangt. Wollen wir hoffen, sie entwickeln noch weiter.

Ballistischer Koeffizient B. C.

Der Gedanke hinter dem ballistischen Koeffizienten ist folgender. Ähnlich gestaltete Geschosse werden im Verlaufe ihrer Reise ähnlichen Luftwiderstandsverläufen begegnen. Ist die relative Verzögerung eines Geschosses auf einer Strecke bei einer gewissen Geschwindigkeit bekannt, dann kann mit einer einfachen Verhältniszahl die Verzögerung und deren Verlauf für das ähnliche Geschoß zutreffen beschrieben werden. Eine französische Kommission in Gävre nahm das Geschoß als erste Norm auf, danach wird das Luftwiderstandgesetz G1 genannt. Das Normgeschoß für einen B.C. = 1 ist in den U.S.A. heute leider immer noch eine 1 US-Pfund schwere, 3 Zoll lange, mit einer 2-Kaliber-Radius Ogive unerträgliche stumpfe, Antiquität, die ins Museum gehört, aber keinesfalls als Vergleich zu modernen windschlüpfrigen Langstreckengeschoßen mit 8 bis 10 Kaliber Ogiven herhalten kann. Warum?

Betrachten wir die Rheinmetall Luftwiderstandverläufe weiter. Die Cw-Kurven 5 und 6 fallen oberhalb Mach 1 wieder deutlich ab. Das heißt der Luftwiderstand schlanker Geschosse nimmt weniger als mit dem Quadrat der Geschwindigkeit, wie der Staudruck auf der ebenen Platte zu. Besonders deutlich wird das an dem 8,8 cm Flakgeschoß, wie hier unten in Sinsheim deutlich.

Weite Schüsse 3, Bild 3, 8,8 cm Granaten in Sinsheim

8,8 Flak-Kanone in Duxford

Wenn wir den Luftwiderstandverlauf unseres Geschosses nicht kennen, oder mit falschen Referenzen rechnen, werden wir auf veränderliche Entfernungen nie mit dem ersten Schuß ins Ziel treffen könne. Genau das wird aber beim Langstreckenschießen verlangt! Genau das lassen alle Programme, die hundert Jahre zu spät immer noch mit Mayewsky G1 rechnen, vemissen.

Mayewski G1 Fehler für Langstrecke

Windschnittige Geschosse zeigen weit oberhalb und weit unterhalb der Schallgeschwindigkeit mäßige Cw -Werte. Um die Schallgeschwindigkeit herum jedoch steigt der Widerstand unverhältnismäßig stark an. Da ist die sogenannte ,,Schallmauer“, bei der die Stoßfront in der Nähe des Geschosses bleibt und also in der Luft für besondere Unordnung sorgt, die besonders Energie zehrt.

Bei Höhen Machzahlen auf kurze Entfernungen, wenn das Geschoß weit überschallschnell fliegt, sind die G1-verursachten Fehler gering. Man kann sie bis 300 m getrost vernachlässigen. Auch auf 500 m wird das Geschoß immer noch die Scheibe treffen. Auf 1.000 m jedoch werden einige weniger günstige Geschosse, die mangels Pulver zudem noch langsam auf den Weg gebracht wurden, wie z.B. aus der kurzen, kleinräumigen 7,62x51 mit 320 bis 349 m/s voll auf die Schallmauer auflaufen. Das bedeutet der mit Mayewski G1 rechnet, berücksichtigt den schallnahen Luftwiderstandsanstieg nur mangelhaft und sagt daher viel zu optimistisch flache Flugbahnen voraus. Der Schütze kuckt auf die leere Pappe, weil sein Geschoß vorher im Gras landete! Sierra machte in Kenntnis der bekannten G1-Fehler für die Berechnung ihrer durchaus windschlüpfrigen Match-King-Geschosse, deren Linien Sierra Lapua von deren Scenar abkupferte, den hilflosen Versuch mittels dreier B.C. Werte für verschiedene Geschwindigkeitsbereiche die unzureichenden uralten Mayewskitabellen für stumpfe Kurzlinge des 19ten Jahrhunderts an lange spitze Geschosse des 21ten Jahrhunderts hinzubiegen. Das war nicht nötig. Der Italiener d’Antonioni war schon 1836 auf dem richtigen Weg zu einem besseren Modell, ohne allerdings damals den mathematischen Beweis antreten zu könne. Das ist inzwischen erledigt. D’Antonioni’s Modell zeigt sich als brauchbarer Sonderfall einer breiteren analytischen Lösung großer Eleganz.

Weite Schüsse 1 2 3 4 5 6

Von der Sache her habe ich an der umfangreichen Fleißaufgabe nix auszusetzen, ja ich konnte dazulernen bzw. lange vergessenes auffrischen.

Daß aber Möller *es* nicht lassen kann (siehe Schrift "Luftwaffe" und Abb. von Kriegsgerät), vermiest mir das Ganze sehr.

Reb
OTL d.R. (BW, nicht Wehrmacht)



LuftwiderstandgesetzHallo Freunde,

folgendes alte Rheinmetalldiagramm rechts war für mich der Grund, mich gedanklich mit Ballistik für weite Schüsse zu beschäftigen und weil ich mal einen Bock nicht bekam, der einfach zu weit weg war, um ihn ohne weiteres zu beschießen.

In dem Diagramm stehet das olle 8,8cm Flakgeschoß als Cw-Sieger gegen den Luftwiderstand da. Bis ich begriffe, warum das so war und heute solche Geschosse rechnen kann, vergingen Jahre.

Insofern habe ich eine besondere Beziehung zu dem Ding. Ich erspare euch zu erzählen und zu zeigen was die Jungs heute, Jahrzehnte später, können. Sie sind immer noch Weltspitze. Und sogar das ließe sich noch verbessern (Haack-Ogive), aber das wäre nun zu weit von der Jagd weg.

Also laßt mir bitte mein Vergnügen an der ollen acht - acht.

Gruß Lutz

aus dem Wild und Hund Forum


Lange Geschosse verschießt auch die Panzerhaubitze 2000
Quelle: http://www.army-technology.com/projects/pzh2000/

Schön schlanke 155 mm Rheinmetallgeschoße